Äthiopien, ein Land mit 80
Mio. Einwohnern und vielen Kinder. 43% der Bevölkerung sind
unter 15 Jahren. Das war die Situation,
als Jary Saraswati im Oktober 2009 mit ihrem Mann die Stelle als
Direktorin von ADRA ETHIOPIA antrat. Äthiopien ist beim Human
Development Index auf Platz 171 von 182 und damit wartet eine
nicht leichte Aufgabe auf sie. Dr. Jary Saraswati, geboren in
Indonesien, war zuvor Dozentin für Internationale Sozialwissenschaften
an der Theologischen Hochschule Friedensau.
Die wichtigsten Religionen im Land sind die äthiopisch-orthodoxen
Christen (43%), die sunnitischen Muslime (34%) und verschiedene
evangelische Kirchen (10%), darunter auch 167,961 Adventisten
in 812 Gemeinden. Die Advent-Gemeinden in Äthiopien sind
sehr aktiv und wachsen, aber sie haben kein Programm für
ihre Kinder und Jugendlichen. In ganz Äthiopien gibt es nur
6 organisierte Jugend/Kindergruppen, die sich Pfadfinder nennen,
aber mehr von einer Paradegruppe mit Drilling und Marching haben,
als mit den Scouts, wie wir sie kennen.
Beim Anblick der vielen Kinder erinnerte sich Jary an die erlebnisreiche
Zeit, als sie in Würzburg als Helferin den Einstieg bei den
Pfadfindern selbst erlebt hatte.
Nach ein paar Gesprächen mit Robel Gezahegn,
dem Jugendabteilungsleiter der Ethiopian Union Mission - die in
Addis Abeba ihr Büro im gleichen Gebäude wie ADRA hat
- war die Idee geboren eine Pfadfinderorganisation nach amerikanischen
oder europäischem Vorbild ins Leben zu rufen.
Interessierte Leiter für örtliche Gruppen im Alter zwischen
13 und 65 Jahren waren schnell gefunden und als Ort für eine
Schulung bot sich das Gelände unsere adventistische Schule
in Kalala, einem südöstlichem Vorort von Addis Abeba,
an. Das Gelände stand Anfang Februar zur Verfügung,
weil die Kinder nach den Zwischenzeugnissen für eine Woche
schulfrei hatten.
Nun begab sie sich auf die Suche nach vier geeigneten Trainern. Einen fand sie in Detlef Schön, dem Leiter ihrer früheren Gruppe in Würzburg. Sie fragte beim Newbold College in England und beim Schweizerischen und Österreichischen Verband an, bekam aber bei allen eine Absage. Weihnachten 2009 fragte sie mich, ob ich mir vorstellen könnte ihr zu helfen und ob ich noch andere Leiter kennen würde, die bereit wären, nächsten Monat kurzfristig zu ihr nach Äthiopien zu kommen und 100 völlig ahnungslosen Äthiopiern zu überzeugten Pfadfinderführern auszubilden. Im Mai 2009 waren schon mal acht Pfadfinderleiter aus Baden Württemberg zwei Wochen mit mir in Moskau und Lipetzk (USSR) gewesen, um dort erfolgreich eine praktische Schulung mit 130 russischen Gruppenleitern durchzuführen. Nach einer Anfrage an das Team und anderen erfahrenen Gruppenleiter waren Bruno Gelke (CPA-Busenweiler) und Benjamin Sigel (Scout-Obmann, CPA-BW) bereit für dieses neue Abenteuer.
So flogen wir Ende Januar 40 kg Gepäck
pro Person über Istanbul nach Addis Abeba, der Hauptstadt
von Äthiopien. Neben unsern persönlichen Sachen waren
unsere Koffer voll mit Lagerausrüstung, Schulungsmaterialien,
Medikamenten, diversen Süßigkeiten und anderen Kleinigkeiten,
die wir den Kinder, den Leitern und am Ende ADRA überließen.
Wir verließen
Deutschland als hier die Temperaturen bei -25°C lagen und
flogen nach Afrika. Wer sich Äthiopien als heiße, vertrocknete
Savanne vorstellt, liegt total daneben. 50 % seiner Fläche
liegen höher als 1200 Meter, mehr als 25 % über 1.800
Meter, über 5 % erreichen noch Höhen über 3.500
Meter. Durch die unterschiedlichen Höhen ist es in den Tiefebenen
heiß und in den Hochebenen relativ kühl. Es herrscht
gemäßigtes Klima vor, denn der größte Teil
des Hochlands hat Mittelgebirgscharakter. In der Hauptstadt Addis
Abeba, Höhe ca. 2.400 m, liegt die durchschnittliche Tagestemperatur
mittags zwischen 8 und 24°C und im Februar und März gibt
es eine kleine Regenzeit. Wir hatten kühle Temperaturen und
viel Regen, fast so, wie man einen deutschen Frühling beschreiben
würde.
Die Schulung war von Jary mit deutscher Gründlichkeit geplant
und vorbereitet worden, aber die Afrikaner sind noch weit davon
entfernt. Sie sollte montags 01.Februar beginnen, aber zur morgendlichen
Eröffnung waren erst 17 Teilnehmer angekommen, bis zum Abend
waren wir 70, am Dienstagabend endlich dann 100 und am Ende der
Schulung 130. Einige Teilnehmer hatten während der Schulung
Freunde und Verwandte benachrichtigt und die waren kurzerhand
nachgereist. Am Abschlussabend bedankte sich eine Mutter bei mir,
die am Mittwoch nur ihren Sohn besuchen wollt, um zu sehen wie
es ihm geht. Unsere Schulung hat sie so angesprochen, dass sie
spontan bis zum Ende dablieb.
Unser Verständnis von Pfadfinder- und Jugendarbeit was für
unsere Zuhörer so faszinierend wie neu. Für uns ist
unser Dienst Missionsarbeit, Mission an den Kinder, deren Eltern,
am Umfeld; wir helfen den Kindern auf ihrem Weg zum Erwachsen
werden, zu selbständigen, verantwortungsvollen
und zuverlässigen Jünger Jesu zu werden und bereichern
dadurch unser Gemeindeleben. Sie hatten ihre Kinderarbeit bisher
mehr als Babysittung betrachtet.
Auch der praktische Teil der Ausbildung eröffnete den Teilnehmern
eine neue Welt. Wie kann man mit minimalen Mittel und Ressourcen
den Kindern immer neue Herausforderungen stellen? Um das zu zeigen,
schliefen wir nicht wie alle anderen im Haus, sondern nächtigten
unter Planen beinahen unter freiem Himmel, kochten am Lagerfeuer
unser eigenes Süppchen und zeigten wie sich aus einer Plastiktüte
und einer alten Plastikflasche eine warme Freiluftdusche herstellen
lässt, bauten uns einen Tisch mit Sitzgruppe aus Eukalyptusstangen
und billigen Plastikschnüren. Unsere jahrelangen Erfahrungen
im Lagerleben waren für die Teilnehmer wie ein Erste-Hilfe-Kurs
im eigenen Survival-Kampf in ihrem Land. "Warum macht ihr
solche Sachen nur mit Kindern?" fragte mich einer der Teilnehmer.
"Weil Erwachsene meist schon zu sehr vernünftig sind
um in spielerischer Weise so die Welt
neu zu entdecken", so meine Antwort.
Knotenkunde, Erste Hilfe-Grundausbildung, Orientierungsläufe
mit Geländespielen und Grundlagen der Lagerkunde standen
praktisch auf dem Programm. Theoretisch beschäftigten wir
uns mit den Anfängen der Pfadfinderbewegung (Baden Powell
und seine Zeit in Afrika), den Grundlagen der Adventjugend, insbesondere
den Anfängen der Pfadfinderarbeit in Europa und Amerika,
mit Gruppenstunden- und Programmplanung. Interessant war auch
die Frage, wie wir geistliche Wahrheiten lebhaft, bildlich und
lebensnah Kindern vermitteln können, besonders bei solchen,
mit nichtadventistischem, nichtchristlichem Hintergrund. Wir übernahmen
die Morgenandachten um es ihnen an Beispielen zu zeigen und spontan
wurde ich eingeladen, am Freitagabend auf diese weise die Sabbatanfangsandacht
vor 150 versammelten Gliedern der Zentralgemeinde in Addis Abeba
zu halten.
Neben den offiziellen Schulungseinheiten gab es natürlich
viel Zeit und Raum für persönliche Begegnungen. Wie
trockene Schwämme saugten sie unsere
Antworten auf ihre Fragen auf und die blieben nicht nur bei den
Pfadfinderthemen. So kamen sich unsere Kulturen nach und nach
näher. Am Sabbatabend, als wir am Lagerfeuer bei Stockbrot
gefüllt mit gegrillter Schokobanane und bei afrikanischen
Rhythmen Abschied feierten, wussten wir, dass diese jungen Menschen
Feuer gefangen hatten für die Idee einer starken Pfadfinderorganisation
in Äthiopien und wir spürten, das diese Generation in
ihrem Land noch Großes vollbringen werden.
Wir träumten von einem großen nationalem Pfadfindercamp
mit hunderten von Gruppen aus ganz Äthiopien und wir versprachen,
dann mit einer Delegation aus Deutschlang daran teilzunehmen.
Möge Gott geben, dass uns die Zeit bis dahin nicht zu lang
wird.